Vertical farming – was ist das?
Vertical farming, auf deutsch vertikale Landwirtschaft klingt noch immer etwas utopisch, ist in vielen Gegenden aber bereits eine breit eingesetzte Technologie. Doch was ist vertical farming? Lassen sich damit die Versorgungsprobleme der immer noch wachsenden Erdbevölkerung lösen oder handelt es sich um einen Hype, der bald wieder in Vergessenheit geraten wird? Und was sind die Vor- und was die Nachteile von vertical farming?
Vertical farming
Gerade in den Ballungsgebieten großer Städte wird es immer schwieriger, die wachsende Bevölkerung mit gesundem Obst und Gemüse zu versorgen. Vertikale Landwirtschaft verspricht mit „Gärten“ an Fassaden mehrstöckiger Gebäude Abhilfe. In dieser Form der urbanen Landwirtschaft können Gemüse, Pilze, Früchte, Heilpflanzen und sogar Algen in sogenannten Farmscrapers gezüchtet werden.
Wo gibt es urbane Landwirtschaft und wie funktioniert das?
In für vertical farming geeigneten Gebäudekomplexen wächst auf mehreren übereinander gelagerten Ebenen ganzjährig Obst und Gemüse. So weit, so gut, so einfach. Mittels Hydrokulturen und basierend auf Kreislaufwirtschaft wird auf den sogenannten farmscrapers also Landwirtschaft betrieben.
Heute wird Indoor-Farming am intensivsten dort betrieben, wo es der traditionellen Landwirtschaft am schlechtesten geht. In China zum Beispiel, denn dort hat sich durch den Klimawandel der Rhythmus des Monsunregens verschoben, was immense Probleme mit sich bringt. Da der Regen kürzer, aber intensiver wurde, erodierten die Böden extrem, und viele Bauern mussten ihre Felder aufgeben, da sich eine Bewirtschaftung nicht mehr lohnte.
Aber auch Japan war Vorreiter und ist heute sogar Weltmarktführer bei vertical farming. Infolge des Tsunami 2011 und der Reaktorkatastrophe gingen riesige Ackerflächen verloren und die Menschen hatten Angst natürlich gewachsene, aber möglicherweise verstrahlte Pflanzen zu essen. Vertical Farming war eine willkommene Alternative für viele verunsicherte Japaner.
Good to know: Auch Österreich ist ein Pionierland auf dem Gebiet der vertikalen Landwirtschaft. Bereits in den 60er Jahren gab es etwa in Langenlois erste Prototypen; einer der Türme, in dem vertikale Landwirtschaft betrieben wird, steht sogar heute noch im Wiener Kurpark Oberlaa.
Wirtschaftlichkeit und Ökobilanz von vertikaler Landwirtschaft
Beim vertical farming wachsen Nahrungsmittel also in Hochhäusern, Lagerhallen und Containern in vertikal gestapelten Schichten, ohne dass der Mensch zusätzlich fruchtbaren Boden beackern muss. Das ausgeklügelte Konzept ermöglicht die „Herstellung“ großer Mengen frischer Lebensmittel – unabhängig von Wetterbedingungen und anderen Umweltkapriolen.
Durch die Kreislaufwirtschaft kann man zudem Wasser sparen und auch qualifizierte Arbeitskräfte oder Erntehelfer sind nicht mehr nötig – so die Befürworter von vertical farming. Freunde dieser Landwirtschafsform argumentieren weiter, dass Energiekosten und Co2 Ausstoß, die beim Transport entstünden, deutlich sinken.
Allerdings kommt auch vertikale Landwirtschaft nicht gänzlich ohne Energie aus. Denn natürlich braucht es Bewässerung und/oder künstliche Beleuchtung. Bedingt durch den Stockwerkbau erhalten die Pflanzen einfach weniger Sonnenlicht, als beim Feldanbau.
Deswegen muss der Mensch künstlich nachhelfen. Der Beleuchtungs- und Wärmezufuhraufwand könnte sogar erheblich sein, wenn die Nutzpflanzen kein natürliches Sonnenlicht erhalten, so kritische Stimmen.
Auch für die Errichtung, Servicierung und andere operative Arbeiten im laufenden Betrieb fallen (Energie-) Kosten an. Kritiker meinen, dass sich so der Nutzeneffekt wegen der kürzeren Transportwege wieder nivelliere.
Auf der Plusseite lässt sich allerdings vermelden: Schädlinge und Krankheiten gibt es in gut geführten vertikalen Farmen so gut wie keine – Pestizide und andere Schädlingsbekämpfungsmittel sind daher nicht notwendig, was aus ökologischer Sicht ein immenser Vorteil ist.
Reale Zukunftshoffnung oder bloßer Hype?
Der globale Vertical Farming Markt wächst jedenfalls rasant. Aktuell schätzt man die Marktgröße für vertikale Landwirtschaftsdienstleistungen auf 4 Mrd. USD – Tendenz stark steigend. In 10 Jahren rechnet man mit einer Marktgröße von rund 17 bis 20 Mrd USD, was jährlichen Wachstumsraten von rund 30 Prozent entspricht.
Innovative Unternehmen erproben laufend neueste Technologien und Produkterweiterungen. Durchaus nach dem „trial and error“ Ansatz probiert man verschiedene Ansätze aus, verfolgt sie weiter oder verwirft sie wieder.
Auch wird gerade erprobt, welche Nahrungsmittel sich gut, und welche sich weniger gut fürs vertical farming eignen. Erst auf Basis dieser Ergebnisse wird sich die Frage, ob es sich bei der vertikalen Landwirtschaft um eine reale Zukunftshoffnung oder doch eher um einen vorübergehenden Hype handelt, endültig beantworten lassen.
Technologien vertikaler Landwirtschaft
Um effektiv und effizient zu sein, müssen bei vertikaler Landwirtschaft verschiedene Technologien kombiniert werden. Einige Technologien sind noch im Entwicklungsstadium, andere werden schon erfolgreich angewendet.
Ein US amerikanisches Unternehmen baut z.B. ausgediente Schiffscontainer für den Eigenbedarf um, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wiederum werden ganz kleine Einheiten entwickelt, mit denen man in der eigenen Wohnung ernten kann.
Eine weitere Idee sind vertical farming Supermärkte, wo man von den dort angebauten Pflanzen nur das ab-erntet (und zahlt) was man braucht. Keine Verschwendung, keine Verpackung, kein Transport (außer nach Hause).
In Berlin entsteht gerade ein solches 20-stöckige Gebäude, in dem Gewürze, Kräuter, Gemüse und Obst wachsen und in dem Besucher selbst nach Bedarf pflücken.
Vertical Farming für priviate Haushalte
Neben den hochtrabenden Plänen innovativer start ups und riesiger Konzerne kann aber auch jeder private Haushalt vertical farming betreiben. Mittlerweile bieten Baumärkte Basismodule an, die man an der Hauswand oder am Balkon fixieren kann um dann – hoffentlich – bald sein eigenes Obst und Gemüse zu ernten.
Manche der Systeme funktionieren auch an sonnenarmen und eher dunkleren Plätzen, wenn man Leuchtdioden über den jeweiligen Anbauflächen montiert, um die Photosynthese und somit das Wachstum der Pflanzen zu unterstützen.
Auch wer auf Erde und damit verbundene Unreinheiten verzichten möchte, kann vertical farming betreiben. Dies gelingt mittels „Hydroponik“. Bei dieser Methode nehmen Pflanzen Nährstoffe statt über den Boden durch eine Nährstofflösung auf.
Die Pflanzensetzlinge befinden sich dabei in eher flachen Samenbehältern und die Wurzeln stehen nur zum Teil im Wasser. Mittels App kann man Bewässerung und Beleuchtung auch aus der Entfernung steuern und so auf einer Standfläche von nur 0,5 m2 bis zu 36 Pflanzen, wie z.B. Salat, Paradeiser oder Kräuter gleichzeitig ziehen.
Zukunftstechnologie vertical farming
Fazit: bei vertical farming handelt es sich ohne Zweifel um einen langfristigen Trend. Wir denken, dass die Vorteile die Nachteile bei weitem überwiegen und die Idee immense Chancen bietet.
Dennoch – nicht alle Pflanzenarten eignen sich in allen Weltregionen für die vertikale Landwirtschaft und Wissenschafter werden auch noch den einen oder anderen Rückschlag zu verdauen haben.
Doch für einen kurzfristigen „Hype“ sind die Chancen und Möglichkeiten – und vor allem die weltweiten Herausforderungen mit bald 80% der Menschheit in städtischen Ballungsräumen – einfach zu groß.
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Quellen:
¹ Vertical Farm Institut
² www.vertical-farming.at – Diplomarbeit „Vertical Farming“, Höhere Abteilung für Mechatronik der Höheren Technischen Lehranstalt Wien 3 Rennweg 2018/19, Philipp Gasser, Noah Gruber, Ulrich Obetzhauser, Stefan Stetina
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